
          
          Grenzcamps 
            
          Kontaktaufnahme 
            zwischen Aufklärung, Vermittlung , Provokation und politischer Intervention 
            
          Angefangen 
            hatte die Idee der Grenzcamps 1998 an der deutschen Ostgrenze nach 
            Polen, ursprünglich geplant in Görlitz. In Rothenburg, nahe dran, 
            fand sich nach einer nervenaufreibenden Suche ein entsprechend großes 
            Gelände. Die Festung Europas war das Hauptthema, denn der Brennpunkt 
            der Illegalisierung war nach der Gesetzesänderung `93 die Grenze. 
            Die strategische Bedeutung des Camps lag an der Thematisierung der 
            bundesrepublikanischen Praxis des BGS und anderer staatlichen Institutionen 
            wie die Strafverfolgungsbehörden. Es war die Hochzeit der Kriminalisierung 
            von Taxifahrern, die des Schleusertums bezichtigt wurden. Das Thema 
            Fluchthilfe war damit in den Vordergrund gerückt. Aber auch die Denunziationspraxis 
            der Bevölkerung entlang der Grenzen wurde attackiert. Ab September 
            `98 wurden die verdachtsunabhängigen BGS-Kontrollen (Schleierfahndung) 
            eingeführt. Bis dahin war die wirksamste Sabotage an der Grenze der 
            Aufbau von Strukturen, die dagegen arbeiteten. Die Zusammenarbeit 
            und die Unterstützung von Gruppen vor Ort klappte auch sehr gut und 
            wirkt bis heute. Die Ostgrenze war aber auch noch aus einer anderen 
            Sicht eine Herausforderung: fast alle sagten, dort kann mensch nicht 
            campen, das ist zu gefährlich. Linke Freiräume zu schaffen , wenn 
            auch nur temporär, war von daher das Ziel und es gelang auch. Desweiteren 
            sollten durch das Camp verstärkt Kontakte in die benachbarten Länder 
            aufgebaut werden. Dies gelang u.a. nach Polen, Tschechien, Ukraine, 
            Weißrussland und Russland. 
          Dieses 
            erste Camp wie auch die Zusammenarbeit hatten den Impuls gegeben, 
            dass daraus weitere Camps danach innerhalb Europas, z.B. an der polnischen 
            Ostgrenze, entstanden. 
            Das alles zusammengenommen war für uns ein so großer Erfolg (auch 
            wenn das erste Camp medienmässig nur lokal aufgegriffen wurde und 
            der Medienhype erst beim dritten Camp in Forst stattfand), woraus 
            folgte, es wird auch ein zweites geben. Die nächsten Camps fanden 
            dann ebenfalls an der deutschen Ostgrenze statt: in Zittau und das 
            letzte Mal in Forst (Brandenburg). 
          Die 
            Wirkung der Camps wurde im Laufe der Jahre immer breitgefächerter. 
            Hatte das Camp in Rothenburg anfangs noch einen stark improvisierten 
            Charakter was die Debattenkultur, aber auch die Infrastruktur betraf, 
            wurde das Infrastrukturelle immer besser und der "Freiraum " Camp 
            erhielt zunehmend die Bedeutung von experimentellem Raum. Nach dem 
            Scheitern von revolutionären Umwälzungen in den 70igern in Vietnam 
            und in den 80igern in Nicaragua fehlte uns Linken Projektionsflächen, 
            in denen wir schauen können, wie andere versuchen, Utopien von anderen 
            Gesellschaftsmodellen umzusetzen. Viele reisten deswegen dahin, andere 
            versuchten dies hier im Kontext von Groß-Kommunen oder im Rahmen der 
            Alternativbewegung, was fehlte, war allerdings die direkte Konfrontation 
            zum gesellschaftlichen System. Beides versuchen zusammenzuführen ist 
            auf den Camps zumindest im Mikrokosmos für 9 Tage möglich: in Konfrontation 
            stehend und dennoch zu probieren , wie Zusammenleben funktionieren 
            kann, wie Entscheidungen entstehen und umgesetzt werden, wie mit Verschiedenheit 
            umgegangen wird, auch was die politische Aktion/Intervention nach 
            außen betrifft, v.a. unter der Bedingung, dass nur begrenzte Zeit 
            für Auseinandersetzungen vorhanden ist. 
          Die 
            Streitkultur nahm von camp zu camp zu. 1998 gab es noch zwei camps: 
            eines - zeitlich versetzt- von Frauen/Lesben und ein gemischtes, wo 
            es keinerlei Debatten z.B. über Sexismus gab. Ab dem Zittauer camp 
            verdichteten sich die Auseinandersetzungen und führten auf dem Forster 
            camp dazu, dass eine heftige Auseinandersetzung über den Zusammenhang 
            bzw. das mögliche Ineinandergreifen von Sexismus und Rassismus geführt 
            wurde. Die Debattenkultur verlief innerhalb von AG`s wie auch auf 
            Plenas mit Hunderten von Leuten. Es ist zu merken, wie wir es nicht 
            mehr (das trifft auf einige Ältere zu) oder noch nie gewohnt sind, 
            Auseinandersetzungen zu führen, bei denen es um was geht, also um 
            eine direkte Umsetzung von Handlungen. Das ist der Unterschied zu 
            Kongressen, wo es die Größe der Diskussionen zwar gibt, aber es bleibt 
            ein Diskurs ohne zwingende Folgen. Das macht ein camp so spannend. 
            Auch die Heterogenität von verschiedenen Altersgruppen, Herkünften, 
            politischen Verortungen ( also nicht nur AntifaschistInnen und AntirassistInnen) 
            bilden einen seltenen Mikrokosmos. 
          Es 
            ist auch ein Ort , um Gesellschaftlichkeit zu denken, also nicht nur, 
            wo ist das nächste Nazinest oder wo findet die nächste Abschiebung 
            statt, die es zu verhindern gilt. Die Grenze des Experiments ist allerdings 
            dort gegeben, wo außer einem Auftanken - denn es war bisher tatsächlich 
            so, dass wir eine Art Gegenmacht erlebten - die restlichen Tage vom 
            Jahr daraus nicht viel erfolgte. Innerhalb des Vorbereitungskreises 
            gibt es die letzten Jahre bundesweit eine gewisse gleichbleibende 
            verbindliche Struktur, was einer Art Organisierung gleicht, denn diese 
            Struktur ist zum Teil auch auf anderen events anzutreffen - sei es 
            der Castor oder auch demnächst in Genua. 
          Die 
            Campidee ist aus dem Zusammenhang "kein Mensch ist illegal" heraus 
            geboren worden, wobei diese Struktur anfangs nur dezentral war und 
            mit dem camps und der Lufthansakampagne erst richtig bundesweit sich 
            vernetzte. Es fehlt jedoch auch bei der camppolitik bisher der Wille 
            zu einer politisch-sozialen Bewegung zu werden, in der das camp ein 
            Teil ist und nicht wie es jetzt eher ist, dass das camp in der BRD 
            ein herausragendes Moment im Jahr ist. 
          Unsere 
            Aktionsformen beinhalteten einen großen Rahmen ausgehend von Aufklärung 
            - sei es über die Campzeitung , die in 10 000er Auflage verteilt wurde 
            oder in Form von Straßentheater oder öffentlichen Veranstaltungen, 
            Irritationen - in dem zum Beispiel ein bekanntes Radrennen für unsere 
            Bühne benutzt wurde, fakes und Taktiken der Kommunikationsguerilla 
            eingesetzt wurden, Provokationen - wo die Bevölkerung z.B. ein Film 
            zur Sonnenfinsternis (die da gerade aktuell ablief) gezeigt bekommt 
            und sie letztendlich aber mit Flucht und Migration konfrontiert waren 
            und politischen Interventionen mit dem Versuch, das rein symbolische 
            zu überschreiten wie die Blockade beim Schichtwechsel vor der BGS-Kaserne 
            oder die große Barrikade auf der Zufahrt zu einer BGS- Einrichtung. 
            
          Es 
            war offensichtlich schwierig für alle gesellschaftlichen Kräfte uns 
            genau einzuschätzen, denn wir selbst agierten in dem Spannungsfeld 
            zwischen MenschenrechtsaktivistInnen und Autonomen, das war bei den 
            Bullen oft zu spüren, bei den Medien wie auch bei der Bevölkerung. 
            Nur die jeweiligen Bürgermeister hatten in uns immer die klaren StaatsfeindInnen 
            erkannt, die es zu bekämpfen galt, was sich jedes mal in heftige politischen 
            Kämpfe um die Platzfrage äußerte, die immer zugunsten von uns ausgingen. 
            
          Die 
            Zusammenarbeit mit Flüchtlingen wurde von camp zu camp immer intensiver. 
            In Zittau stieß die afrikanische Flüchtlingsorganisation "The Voice" 
            dazu und ist seither mit dabei. In Zittau gelang auch der erste materialisierte 
            Erfolg, dass nach dem Camp das dortige miserable Flüchtlingsheim geschlossen 
            wurde und die Flüchtlinge in anderen Heimen untergebracht wurden. 
            Doch auch da offenbart sich die Grenze dieser Politikform, denn es 
            hätte gut arbeitende Gruppen vor Ort geben müssen, um z.B. die Flüchtlinge 
            ganz aus diesen elendiglichen Heimen zu kriegen. 
          Die 
            Angst vor den Nazis an der deutschen Ostgrenze schien berechtigt zu 
            sein, haben sie gerade auch in Sachsen etliche sogenannte "national 
            befreite Zonen" und ihr Säbelrasseln vor jedem Camp war entsprechend 
            aufgeblasen. Die Stärke der camps hatte jedenfalls immer ausgereicht, 
            ohne Nazistreß zu leben und auch die Angriffe in den Städten verstummte 
            zumindest für die Zeit unserer Anwesenheit. Ein Nazikader erbat in 
            Zittau ein Friedensabkommen und erhielt nur Hohn und Spott als Antwort, 
            da die führenden Nazi-Strukturen während des camps phantasievollen 
            und offensichtlich sehr wirkungsvollen Aktionsformen ausgesetzt waren 
            und von ihnen keine Gefahr ausging. 
          Die 
            Bevölkerung reagierte von Neugierde, teilweise auch Unterstützung 
            bis hin natürlich zur bekannten Ablehnung und Hasstiraden. Das Medienecho 
            steigerte sich, v.a. im letzten Sommer, wo wir als aktive Bastion 
            gegen Rassismus entdeckt wurden und dies sogar weltweites Echo bis 
            hin nach Japan, Tschechien, in die Ukraine und nach Brasilien fand. 
            
          Dieses 
            Jahr wird es gegen die Festung Europas, insbesondere gegen die Grenzaufrüstung 
            mittels EDV, Nachtsichtgeräten oder Schnellbooten, die schon Tausenden 
            bisher das Leben gekostet haben, eine internationale campkette geben. 
            Denn eine Einreise von Flüchtlingen ist durch das Konstrukt "sicherer 
            Herkunftsländer", der sog. Drittstaatenregelung und den bilateralen 
            Rückübernahmeabkommen immer riskanter und teuerer geworden. Mit der 
            EU-Erweiterung verlagert sich diese Grenze Richtung Osten. Beitrittsbedingung 
            ist die Anpassung an die schengen-europäische Asyl- und Migrationspolitik, 
            also Aufrüstung der Grenzen, Installierung von Lagern und Abschiebeknäste, 
            Übernahme der herrschenden Visum- und Asylpolitik sowie verstärkte 
            Kontrollen im Hinterland. 
            Unter anderem 
            dagegen richten sich die camps 
            
            - im südspanischen Tarifa (vom 2.-8.7.), 
            - im ostpolnischen Bialystok/Krynki (vom 5.- 12.7.), 
            - im slowenischen Petisovci bei Lendava (vom 4.-8.7.), 
            - in Genua gegen den G8 Gipfel (vom 19.-22.7) 
            - und in Frankfurt am Flughafen (vom 27.7.-5.8.). 
          Unsere 
            Entscheidung dieses Mal von der deutschen Ostgrenze wegzugehen hat 
            u.a. damit zu tun, dass das Grenzregime nicht nur an der Außengrenze 
            verläuft, sondern v.a. am Frankfurter Flughafen mit seinem exterritorialem 
            Internierungslager, mit den enormen alltäglichen Kontrollen, die für 
            Illegale Knast und Abschiebung bedeuten. Grenze bedeutet auch Residenzpflicht, 
            Arbeitsverbot, Meldepflicht, Asylbewerberleistungsgesetz, Aufenthaltserlaubnis 
            für nützliche MigrantInnen, repressives Vorgehen gegen sog. Unnütze. 
            
          Ein 
            weit gefächertes Angebot an Aktions- und Interventionsmöglichkeiten 
            sowie linksradikaler Positionierungen. Hinzu kam aber noch, dass unsere 
            Aktionsideen an der Ostgrenze ausgereizt waren und wir fanden, dass 
            auch Regionen wie das Rhein-Main-Gebiet politische Entwicklungshilfe 
            brauchen kann und nicht immer nur der "arme" Osten. 
          Für 
            das nächste Jahr gibt es die Idee, die verschiedenen europaweiten 
            camps zu vernetzen und in Straßburg ( Sitz des Europaparlaments, von 
            SIS: Schengener- Informations-System, vom Menschenrechtsgerichtshof) 
            ein gemeinsames europäisches Camp gegen die Festung Europas zu machen. 
            
          Weitere 
            Infos unter: 
          www.noborder.org 
             
          www.aktivgegenabschiebung.de