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Grenzcamp 2001 »kein mensch ist illegal«
Rhein-Main-Region und Flughafen Frankfurt - Die inneren Grenzen im Visier.

Aufruf des Rhein-Main-Vorbereitungsplenums

Vom 27. Juli bis zum 5. August 2001 wird in Frankfurt am Main das 4. antirassistische Grenzcamp unter dem Motto »kein mensch ist illegal« stattfinden. Wie die Jahre zuvor richtet sich auch das diesjährige Camp gegen das Grenzregime Deutschlands und Europas und stellt sich in den Zusammenhang und die Kontinuität der vielfältigen Kämpfe dagegen. Ohne falsche Bescheidenheit attackiert es das feinmaschige Netz, das von Grenzzaun, BGS-Patroullien und Internierungslager über rechtliche Diskriminierungen, bürokratische Gängelung, populistische Reden, denunzierende Bürger bis zur Jagd auf Illegalisierte und tägliche Abschiebungen reicht. Das Camp mischt sich mit allen erdenklichen Mitteln ein - von der öffentlichen Veranstaltung, über solidarische Unterstützung bis zur möglichst störenden Aktion - gegen die Rassismen in diesem Land und fordert die Herrschaft des Passes mit dem goldenen Adler heraus.

Nach drei Campjahren in Orten direkt an der Grenze zu Polen und Tschechien wurde als Ort für diesen Sommer das Rhein-Main-Gebiet und der Frankfurter Flughafen gewählt. Fokussiert werden damit die »inneren Grenzen« des nationalen Grenzregimes.
Der Schwerpunkt der anvisierten Aktionen liegt von daher auf dem Flughafenverfahren und dem Internierungslager am Rhein-Main-Airport. Mit einer überregionalen Abschlussdemonstration sollen am Samstag, dem 4. August 2001 den Forderungen nach der sofortigen Auflösung des Internierungslagers und dem Stop aller Abschiebungen nochmals Nachdruck verliehen werden.

Gegenstand des diesjährigen Camps sind auch die Grenzen, die legalen wie illegalen MigrantInnen das Leben in den städtischen Zentren der Region schwer machen - angefangen von innerstädtischen Personenkontrollen bis zu Diskriminierungen auf Wohnungs- und Arbeitsmarkt.
Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Kampagne der Organisation afrikanischer Flüchtlinge The Voice gegen die Residenzpflicht, d. h. dagegen, dass Flüchtlingen im Asylverfahren untersagt wird, den ihnen behördlich zugewiesen Bezirk zu verlassen. Die Mitglieder von The Voice verstoßen bereits mit ihrer Teilnahme am Camp gegen die Residenzpflicht.
Die Legalisierung aller in Deutschland lebenden »Illegalen« ist eine zentrale Forderung des Camp-Zusammenhangs. In der wirtschaftlich mächtigen und sich so weltoffen gebenden Muli-Kulti-Region Rhein-Main liegt die Herausforderung des Camps 2001 darin deutlich zu machen, dass es radikalen linken Widerstand auch gegen den flexibilisierten Rassismus eines sich modernisierenden Migrationsregimes gibt. Gegen eine Politik, die Menschen in Kategorien »nützlich«, »hinreichend angepasst« und »kulturell bereichernd« sortiert und lenkt, sollen all die Intiativen und Praktiken unterstützt werden, die diese Ordnung durcheinanderbringen und sich ihr entziehen.

Die politische Perspektive des Camps macht nicht halt bei Erleichterungen, Quotierungen, GreenCards oder »humanitären Verbesserungen«, sondern streitet für das Recht und die Möglichkeiten, dass jeder Mensch dorthin gehen und leben kann, wohin und wie er und sie will. Ohne wenn und aber.

Neben den antifaschistischen und antirassistischen Aktionen und Wirkungen »nach Außen« liegt eine zentrale Bedeutung des kein mensch ist illegal-Camps auch in der »Binnen-Auseinandersetzung«. Das Camp, bei dem in den letzten drei Jahren jeweils 500 bis 1 000 Menschen teilnahmen, ist zu einem wichtigen Ort des Erfahrungsaustauschs unterschiedlicher antirassistischer Szenen und Spektren geworden.
Hierbei hat sich gezeigt, dass das Camp sowohl für den Anspruch wie auch für die Schwierigkeiten gemeinsamen politischen Handelns steht. Gerade weil das Camp sich (jeweils neu) aus einer Vielzahl durchaus heterogener Perspektiven und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Lebensrealitäten zusammensetzt, fordert es dazu heraus, sich über diese Divergenzen und dennoch mögliche gemeinsame Ansätze, Positionen und Aktionen auseinanderzusetzen.
Als wichtige Diskussionsfelder stehen hierbei Thematiken wie das Verhältnis zwischen »deutschem« Antirassismus und migrantischer Selbstorganisation, zwischen Rassismus / Sexismus und Antirassismus / Antifaschis-mus, die letztjährige Staatsantifa-Debatte sowie Verschiebungen in der herrschenden Einwanderungspolitik ganz oben auf der Liste des Grenzcamps 2001.
Wir fordern hiermit alle Interessierten auf, sich am Grenzcamp 2001 zu beteiligen bzw. einzubringen. Informiert Euch und andere, macht den Termin bekannt, streitet mit, mobilisiert, bereitet eigene Aktionen vor undundund.

»kein mensch ist illegal« - Camp!
Kontakt und weitere Informationen:
3. Welthaus Frankfurt
Falkstr. 74
60487 Frankfurt / M.
Tel.: 069 - 79 20 17 72 (Mittw. 18 - 22 h)
Email: ag3f@oln.comlink.apc.org
www.contrast.org/borders/kein/

Im Folgenden werden anvisierte Schwerpunkte des Camps 2001 noch einmal ausführlicher dargestellt:

Tatort Flughafen
Der Rhein-Main Flughafen ist die »wichtigste Außengrenze innerhalb der BRD«. Mit dem diesjährigen Camp wird diese zum erstenmal zum Zielpunkt einer bundesweiten, antirassistischen Mobilisierung, und dafür gibt es gute Gründe: Der Rhein-Main-Airport ist der deutsche Abschiebeflughafen Nr. 1. Über 10 000, also im Tagesdurchschnitt 30 bis 40 Menschen, werden von hier aus jedes Jahr abgeschoben, die Hälfte davon in Maschinen der Lufthansa. Immer wieder werden solche Abschiebungen unter Anwendung aller Gewaltmittel durchgesetzt. So ist es kein Zufall, dass Kola Bankole 1994 und Aamir Ageeb 1999 beim Abflug von Rhein-Main in Lufthansaflugzeugen von Beamten des BGS zu Tode gebracht wurden.
Seit mit Einführung der Schengenregelung ein Ring sogenannter sicherer Drittstaaten um Deutschlands Außengrenzen gezogen wurde, stellt der Luftweg die einzig verbleibende Variante dar, nach Deutschland einzureisen und hier Asyl beantragen zu können.
Diesem Weg soll das sogenannte Flughafenverfahren einen Riegel vorschieben: In dem als exterritorial definierten Transitgebäude C 182 ist seit 1993 ein Internierungslager eingerichtet, in dem neuankommende Flüchtlinge festgehalten und von der Inanspruchnahme rechtlicher Unterstützung ferngehalten werden. Nach einer Schnellprüfung wird ein Teil der Asylsuchenden sofort wieder vom Flughafen aus abgeschoben, ohne jemals »eingereist« zu sein. (Selbst Asylsuchende, die unter BGS-Bewachung in 50 km entfernten Psychiatrien oder Krankenhäusern gebracht werden, gelten juristisch nicht als in Deutschland angekommen.) Die katastrophalen Bedingungen in dem »Grenzgefängnis« am Flughafen, in dem seit Oktober 1999 auch unbegleitete Kinder arrestiert werden, sind von der Willkür und Gewalt seitens BGS-Beamten, wenig Aussicht auf Unterstützung und juristische Beratung und nicht zuletzt unerträglich langen Aufenthaltszeiten geprägt, die die Betroffenen durch eine »Freiwilligkeitserklärung« absegnen müssen.
Im Mai letzten Jahres nahm sich Naimah Hadjar im Internierungslager das Leben, nachdem sie 234 Tage in Haft und Psychiatrie verbracht hatte.
Mit Protestbriefen, Hungerstreiks und Ausbruchsversuchen wehren sich die Betroffenen immer wieder gegen diese Zustände. Dem Widerstand und der Kritik an den (Langzeit-)Inhaftierungen begegnet das Bundesinnenministerium mit Plänen für einen weiteren Knast: Das Internierungslager im Transitbereich soll durch eine neue »Rückschiebungshaftanstalt« auf dem Flughafengelände ergänzt werden. Hierher sollen diejenigen verlegt werden und auf ihre Abschiebung warten, deren Asylantrag im Schnellverfahren als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt worden ist.

Es gibt kein ruhiges Hinterland
Der Flughafen ist somit ein zentraler Bestandteil der Infrastruktur des tief gestaffelten nationalen Grenzregimes. Diejenigen, die - auf welchem Weg auch immer - durch die Maschen deutscher »Außengrenzen« geschlüpft sind, sind mit einem ganzen Arsenal weiterer Grenzen konfrontiert: Unterbringung in Lagern und Residenzpflicht, Arbeitsverbot und Asylbewerberleistungsgesetz, befristete Duldung, Meldepflicht oder Illegalität sind nur einige Eckpunkte des diskriminierenden Status, der die Bewegungsfreiheit von MigrantInnen rechtlich wie materiell beschränkt und sie als Nicht-Deutsche markiert. Auf diese Weise werden Menschen, selbst wenn sie über Jahre inmitten des Landes leben, »draußen« gehalten und einem Grenzregime unterworfen, zu dem das Aufnahmelager Schwalbach, Ausländerbehörden und Arbeitsämter ebenso gehören wie Personenkontrollen, Razzien, BGS und der Abschiebeknast Offenbach. Das gilt in besonderer Weise für Illegalisierte, die nicht nur in vom BGS durchkämmten Landstrichen hinter den Grenzen zu Polen und Tschechien, sondern auch in städtischen Räumen jederzeit in Gefahr schweben aufgegriffen zu werden. Ständig werden auf Frankfurter Plätzen Personenkontrollen durchgeführt, finden auf den Straßen Schleierfahndungen statt und werden Arbeitsorte von Razzien heimgesucht.

Illegalität, Rassismus und Stadt
Andererseits bietet die Unübersichtlichkeit der Stadt auch in ganz anderem Maß als etwa in Forst oder Zittau - den beiden letzten Campstädten - MigrantInnen Möglichkeiten, sich diesen Kontrollmechanismen zu entziehen. Illegalisierte können zwischen den vielen legal in Frankfurt lebenden MigrantInnen »untertauchen«, finden soziale und ökonomische Netzwerke, die ein dauerhaftes, wenn auch prekäres Leben in Deutschland ermöglichen.
Die »Weltstadt« Frankfurt ist auf Dienstleistungen aller Art angewiesen. In Hotels oder der Gastronomie, in der Prostitution oder als Dienstmädchen, im Baugewerbe oder als Ladearbeiter im und rund um den Flughafen - vor allem die Fülle schlecht bezahlter Jobs wird mit MigrantInnen »rentabel« bewältigt. Ermöglicht diese Situation Illegalisierten das ökonomische Überleben, so sind sie durch ihre Rechtlosigkeit und die ständige Bedrohung durch Polizei- und Ordnungsamtskontrollen unternehme-rischer Ausbeutung besonders ausge-liefert. Debatten der letzten Jahre haben aufgezeigt, dass der Innere-Sicherheits-Diskurs durchzogen ist von rassistischen Bildern und Stereotypen, die allesamt dem Metaphernkatalog des »Städtischen« entstammen. Stadt = Kriminalität = Ausländer lautet das etablierte Einmaleins. So fällt dem deutschen Bürger beim Thema Drogen der nordafrikanische Dealer ein und sorgt man sich vor den osteuropäischen Mafias, die die deutschen Bordellbetreiber im Bahnhofsviertel verdrängen; wer von Jugendgewalt schwadroniert, hat sofort den migrantischen Junghalunken vor Augen und ein Graffitisprayer oder Hütchenspieler mit Namen Müller liegt jenseits des Vorstellungsbereichs. An die bundesweiten Innenstadtaktionen von '97 und '98 anknüpfend wird das diesjährige Camp seinen Aktionsradius auf rassistische Ausgrenzungen in und aus städtischen Räumen erweitern. Razzien im Bahnhofsviertel, bei denen in den letzten Monaten mehrere hundert Prostituierte abgeschoben wurden, die Videoüberwachung der Konstablerwache, die die sich dort aufhaltenden Jugendlichen vertreiben soll, oder der »sicherheitstechnisch« aufgerüstete und BGS-bewachte Hauptbahnhof sind mögliche Aktionsfelder.

Grenzregime, Globalisierung und Einwanderungsdebatte
Das Camp in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt bietet zudem die Möglichkeit, das Grenz- und Migrationsregime im Kontext globaler ökonomischer Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse zu thematisieren. Sie versinnbildlichen sich am Rhein-Main-Flughafen in ausgeflogenen Computern und eingeflogenen Wintererdbeeren. Regional ansässige Konzerne und Banken finanzieren und planen Großprojekte im Trikont, die dort einschneidende Veränderungen der Lebensverhältnisse und -grundlagen der Bevölkerung bewirken und so direkt und indirekt Fluchtgründe für die Menschen sind, deren Zurückweisung oder Kontrolle das Grenzregime übernimmt. Gleichzeitig bringt die Wirtschaftskonzentration in Rhein-Main einen Arbeitskräftebedarf hervor, der ohne Zuwanderung nicht mehr gedeckt werden kann und deshalb das bisherige, allein auf Abschottung ausgerichtete Migrationsregime in Frage stellt. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der im letzten Jahr aufgebrochenen Einwanderungsdebatte, angesichts deren alte antirassistische Erklärungsmodelle mitunter schwer ins Schlingern kommen: - Die Industrie kritisiert die von der Politik zögerlich und hinhaltend vorgebrachten Green- und Bluecard-Regelungen als unzureichend, weil sie für die benötigten Arbeitskräfte zu un- attraktiv sind und fordert statt dessen eine Ausweitung der Regelungen von IT-SpezialistInnen auch auf niedrigbezahlte Dienstleistungsberufe sowie die »Entbürokratisierung« der Einreise und die Abschaffung der Beschränkungen des Aufenthalts und des Familiennachzugs. Unversehens könnten sich die Interessen der Industrie mit denen einiger MigrantInnen decken und beide finden sich vielleicht in einer unerwarteten Koalition gegen die noch immer weitgehend an rassistischen Ressentiments in der Bevölkerung orientierten Politik. - Unter dem Motto »Aufstand der Anständigen« wurde dem Rassismus der Strasse im vergangenen Jahr von weiten Teilen der offiziellen Politik der Konsens entzogen; dies nicht zuletzt mit dem Hinweis auf den »Standortnachteil Rassismus«. Im Zuge dessen gingen auch Polizei und Justiz schärfer gegen Neonazis vor.
In dem arbeitsteiligen Bündnis, das für die rassistische Offensive der 90er Jahre charakteristisch war und vom prügelnden Mob über die wahlweise offen applaudierende oder schweigende Mehrheit bis zur untätigen Polizei und der Politik reichte, der der Rassismus der Bevölkerung wiederum als Grund für die weitere Entrechtung und Stigmatisierung von Flüchtlingen und MigrantInnen diente, zeigen sich damit zumindest Risse. Das diesjährige Grenzcamp wird Gelegenheit sein, die aufbrechenden Widersprüche der gegenwärtigen Konstellation - zwischen Abschottung, institutionellem Rassismus und regulierter Zuwanderung, zwischen »Aufstand der Anständigen« und dem Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft, zwischen Leitkultur und Multi-Kulti, zwischen ethnisierten Ausbeutungsstrukturen und migrantischer Selbstermächtigung - zu diskutieren und Ansatzpunkte für radikale Kritik und praktische Gegenwehr auszuloten.
»Freies Fluten«, volle Freizügigkeit und ein subjektives Recht auf Einwanderung bleiben gegen jede Regulierung unsere zentralen Forderungen. Camp heisst Zelten -

Strukturen und Orga
Wie die Jahre zuvor wird auch das Camp 2001 dezentral und bundesweit organisiert. In vielen Städten und Regionen gibt es Zusammenhänge, die für das Camp mobilisieren, sich die Köpfe heiss reden, Diskussionen vorbereiten und Aktionen planen. Die lokalen Diskussionen und Vorbereitungen werden auf regelmäßig stattfindenden bundesweiten Plena zusammengetragen. Auch in der Rhein-Main-Region, dem diesjährigen Ort des Geschehens, trifft sich regelmäßig ein Camp-Vorbereitungszusammenhang, an dem diverse lokale Gruppen und Initiativen beteiligt sind. Für alle Interessierten sei empfohlen, sich über die jeweiligen lokalen Ansprechmöglichkeiten zu informieren.
Daneben sei erwähnt, dass die Teilnahme an dem Camp die Bereitschaft erfordert, sich Isomatte und Zelt zu organisieren, da Camp tatsächlich campen heisst. Der diesjährige Zeltplatz wird noch bekannt gegeben.

Geschichte der Grenzcamps
Im Sommer 1998 haben AktivistInnen von »kein mensch ist illegal« sowie antifaschistische Gruppen in Ostsachsen erstmals zu einem Aktionscamp an der deutsch-polnischen Grenze in der Nähe von Görlitz aufgerufen. Mehrere hundert Menschen aus Ost und West beteiligten sich an Aktionen gegen ein Grenzregime, in dem sich hochtechnisierter BGS und die Denunziationsbereitschaft großer Teile der Bevölkerung in einer bisweilen tödlichen Menschenjagd auf die sogenannten illegalen EinwanderInnen kombinieren. Ein Schwerpunkt bildeten zudem Aktionen gegen regionale (neo) faschistische Strukturen. 1999 wurde ein Folgeprojekt in Zittau im Dreiländereck zu Polen und Tschechien organisiert, im vergangenen Sommer dann ein drittes Camp in Forst bei Cottbus. Das Camp wurde zunehmend von Menschen aus verschiedenen Spektren organisiert und getragen, die Beteiligung hat Jahr für Jahr zugenommen. Infos unter: www.contrast.org/borders/camp

Flughafenerweiterung
Die hessische Regierung sowie die Frankfurter Flughafen AG, heute Fraport, haben sich im August 2000 offiziell für den Bau einer zusätzlichen Landebahn im Kelsterbacher Wald, nordwestlich des bestehenden Flughafens, ausgesprochen. Nach der Startbahn West würde damit die Expansion des Luftverkehrs erneut massiv vorangetrieben, »Standortfaktor« und »Jobmaschine« dienen als Hauptargumentationsmuster der Befürworter. In erster Linie wegen der ständig zunehmenden Lärmbelastung sowie der Zerstörung der letzten Naherholungsgebiete hat sich gegen die Ausbaupläne ein relativ breit verankerter Protest entwickelt, der im vergangenen September in einer Großdemonstration mit über 10 000 Menschen seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Nahezu alle kommunalen Interessenvertretungen der Region wehren sich gegen den Ausbau, mittlerweile über 50 Bürgerinitiativen haben sich in Gemeinden und Städten rund um den Flughafen als Hauptträger des Protestes gegründet. In den meisten dieser BIs sind Rassismus und Abschiebungen am Flughafen bislang kein Thema, das übliche Desinteresse an antirassistischen Initiativen mag bestimmend sein. Doch aus einigen BIs wird der Widerstand gegen die Abschiebungen am Frankfurter Flughafen bereits seit Jahren unterstützt und er soll vermehrt in der Gesamtstruktur der Bürgerinitiativen thematisiert werden.
Das Grenzcamp sehen wir insofern als eine Chance und Möglichkeit, solche Ansätze zu verstärken, indem wir einerseits den Protest gegen die Flughafenerweiterung unterstützen und aufgreifen, und andererseits insbesondere über die ansprechbaren Bürgerinitiativen versuchen, mehr Menschen in der Region für antirassistische Auseinandersetzungen zu interessieren und zu gewinnen. Schon im Vorfeld des Camps sollen deshalb in den Anliegergemeinden Info-Veranstaltungen angeboten werden, um inhaltliche Verbindungslinien herzustellen, und für das Camp selbst soll eine Veranstaltung und eventuell auch Aktionen gegen die Flughafenerweiterung vorbereitet werden.

Internationale Campkette gegen die Festung Europa
In den letzten Jahren hat der unverminderte Ausbau der Festung Europa und insbesondere deren Grenzaufrüstung mittels EDV, Nachtsichtgeräten oder Schnellbooten Tausenden von Menschen das Leben gekostet. Eine Einreise von Flüchtlingen ist durch das Konstrukt »sicherer Herkunftsländer«, der sog. Drittstaatenregelung und den bilateralen Rückübernahmeabkommen immer riskanter und teurer geworden. Mit der EU-Erweiterung findet nicht zuletzt eine Vorverlagerung der Aussengrenzen nach Osten statt. Beitrittsbedingung für die mittel- und osteuropäischen Staaten ist die Anpassung an die schengen-europäische Asyl- und Migrationspolitik, also Aufrüstung der Grenzen, Installierung von Lagern und Abschiebegefängnissen, Übernahme der herrschenden Visum- und Asylpolitik sowie verstärkte Kontrollen im Hinterland. Im Rahmen des Phare / Tacis-Programms stellt die EU hierfür Finanzhilfen in Millionenhöhe für Länder von Litauen bis zur Mongolei bereit. Vor diesem Hintergrund haben antirassistische Gruppen quer durch Europa in den letzten Jahren Protestaktionen gegen die verschärften und vorverlagerten Grenzregimes organisiert. Für den kommenden Sommer sind bislang vier neue Projekte in Vorbereitung, die über das europaweite Netzwerk noborder zu einer internationalen Campkette verbunden werden sollen.
Anfang Juli 2001 findet erstmals ein Grenzcamp im süd-spanischen Tarifa statt. Voraussichtlich Mitte Juli werden dann in Ostpolen an der Grenze zu Litauen und Weißrussland Grenzcamp-zelte aufgeschlagen. Dabei soll die Aufrüstung der zukünftigen EU-Außengrenze und die damit einhergehende Zerstörung z. B. des grenzüberschreitenden Kleinhandels thematisiert werden.
Vom 20. bis 22. Juli tagt der G-8-Gipfel in Genua. AktivistInnen aus Italien wollen dies zum Anlass nehmen, die Verantwortlichen der weltweiten Ausbeutung mit ihren Widerstandsformen zu konfrontieren und das Recht auf selbstbestimmte Migration einzufordern. Schließlich folgt Ende Juli das Grenzcamp in Frankfurt / Main. Auch an der Grenze USA / Mexiko wird im Spätsommer 2001 ein neues Projekt stattfinden. Wir rufen hiermit dazu auf, sich im kommenden Sommer auch an den Camps und Aktionen in anderen Ländern zu beteiligen, den Widerstand gegen die Grenzregimes zu internationalisieren und der Festung Europa einen »heißen Sommer« zu bereiten.

Infos unter: www.noborder.org