Kölner-Stadtanzeiger (11.12.00)
back...

Großdemonstration in Köln

Clement nennt Kundgebung "beeindruckendes Zeichen"
Köln - Am Rande einer genehmigten Demonstration neonazistischer Gruppierungen ist es in der Kölner Innenstadt zu Ausschreitungen zwischen Polizei und linksgerichteten Gegnern gekommen. Zuvor hatten auf dem Hohenzollernring rund 25 000 Menschen friedlich gegen Rassismus demonstriert. Die Großkundgebung in Köln richtete sich gegen einen Aufmarsch von etwa 120 Rechtsextremisten, die am Mittag durch ein Versicherungsviertel nördlich des Ebertplatzes gezogen waren. Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) würdigte die Kölner Demonstration als "beeindruckendes Zeichen".

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Anschluss an die Kundgebung war ein Teil der Demonstranten zum Ebertplatz gezogen. Etwa 500 Chaoten versuchten vergeblich dort die Polizeisperren zu durchbrechen. Bei den Zusammenstößen wurden acht Beamte und mindestens ein Demonstrant verletzt, insgesamt 25 Randalierer aus der autonomen Szene wurden vorübergehend fest- oder in Gewahrsam genommen, gegen 20 von ihnen werden Strafverfahren eingeleitet.

Großkundgebung

Ein Ordner rief zum Angriff auf - Polizei erstattete Anzeige - Veranstalter der Gegendemonstration zogen durchweg positive Bilanz

Die Nachlese der Kundgebungen am Samstag fiel durchaus gemischt aus. Die Organisatoren der Demonstration gegen rechts, allen voran die Initiativen "Köln stellt sich quer", "Arsch huh" und der Verein "Öffentlichkeit gegen Gewalt", sprachen am späten Nachmittag von einer gelungenen Veranstaltung.Die Polizei dagegen war über die Randale im Anschluss an die Kundgebung auf dem Hohenzollernring alles andere als glücklich. Insgesamt waren mehr als 2000 Beamte aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz im Einsatz. "Im Wesentlichen hat sich alles so entwickelt, wie wir das erwartet haben. Unser Konzept ist voll aufgegangen", sagte Winrich Granitzka, Leiter des Polizeieinsatzes. Nach der friedlichen Kundgebung der Gegendemonstranten auf dem Hohenzollernring waren um 11.30 Uhr etwa 5000 Teilnehmer zum Ebertplatz gezogen. Die Polizei hatte den Bereich zwischen Sedanstraße, Hülchrathstraße und Neusser Wall bis zum Rheinufer abgesperrt. Im Innenraum zogen die Rechtsextremisten nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch die Straßen. Die U-Bahn-Station "Reichenspergerplatz" war ebenfalls aus polizeitaktischen Gründen gesperrt worden, damit Gegner der Neonazis nicht per Bahn mitten in den abgesperrten Bereich einrollen konnten. Platzwunde am Kopf Um die Mittagszeit versuchten gewaltbereite Chaoten immer wieder, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Am Ende mussten sich acht Polizisten behandeln lassen. Zumindest ein Demonstrant erlitt von einem herumfliegenden Stein eine Platzwunde am Kopf. An der Riehler Straße/Ecke Neus¦ser Wall wurde ein Hundeführer von einem schweren Stein getroffen, den ein junger Mann aus der Menge geworfen hatte. Der Beamte erlitt eine Gehirnerschütterung, "wäre er frontal getroffen worden, dann hätte der Stein ihm den Schädel zertrümmert". Insgesamt wurden 25 Randalierer in Gewahrsam genommen, 20 von ihnen bekommen eine Strafanzeige wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung oder Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Unter ihnen auch der Leiter des Ordnungsdienstes, der noch vor wenigen Tagen gemeinsam mit der Polizei an einem Sicherheitskonzept gearbeitet hatte. Er hatte über Lautsprecher die Demonstranten aufgefordert, die Absperrungen zu durchbrechen. "Man kann nicht gegen Intoleranz demonstrieren und dann selbst zu Straftaten aufrufen, dieses Verhalten zeugt nicht von demokratischer Gesinnung", stellte Granitzka fest.

 

Gefährliches Hindernis

Ein Autofahrer hatte am Vormittag ein schlimmes Unglück verhindert. Mit Vorhängeschlössern hatten Unbekannte zwischen zwei Ampelmasten am Gustav-Heinemann-Ufer in einem Meter Höhe über der Fahrbahn eine Stahlkette gespannt und darunter eine brennbare Flüssigkeit entzündet. Durch den Qualm war die Kette nicht mehr zu sehen. Der aufmerksame Autofahrer reagierte schnell und konnte die Kette auf den Boden drücken, bevor bei der nächsten Grünphase Autos und Motorräder mit 70 Stundenkilometern dagegen gefahren wären. Auf dem Gotenring in Deutz setzten Unbekannte eine Ampelanlage in Brand. Beide Taten schreibt die Polizei Autonomen zu. Nach Ende des rechtsextremen Aufmarsches geleitete ein großes Polizeiaufgebot die Demonstranten aus dem abgesperrten Gebiet. Am Hauptbahnhof und in der Schildergasse griffen später Autonome unbeteiligte Passanten an, die sie für Teilnehmer der Nazi-Demo hielten. "Einige machten sich zum Polizeipräsidium am Waidmarkt auf, um ihre verhafteten Kumpels zu befreien", berichtet Granitzka. Sie wurden von der Polizei gestoppt. Zufriedenheit herrschte indes bei den Veranstaltern der Gegendemonstration. Ratsherr Jörg Detjen, einer der Initiatoren, sagte: "Für Köln war das ein Superereignis. Ich bin vor allen Dingen mit der hohen Beteiligung zufrieden." Karl-Heinz Pütz von "Arsch huh" lobte die hervorragende Zusammenarbeit zwischen den doch recht unterschiedlichen Organisatoren der Kundgebung. "Fast alle Künstler waren da, und diejenigen, die partout verhindert waren, haben uns ihre Grüße geschickt." Mit Blick auf den Entscheid der Verwaltungsrichter, die das Demonstrationsverbot mit dem Hinweis auf das hohe, in der Verfassung verankerte Gut der Versammlungsfreiheit aufhoben, meinte Pütz: "Jetzt sind der Gesetzgeber und das Parlament in Berlin gefordert." Es gehe nicht an, dass die Nazis die demokratische Grundordnung mit Füßen träten, sie aber gleichzeitig ausnutzten, um medienwirksam zu demonstrieren. "Faschismus hat kein Recht auf Demokratie. Dass dann sogar die staatliche Gewalt die Nazis vor Konfrontationen schützen muss, ist ein Unding", betonte Pütz. Als überflüssig bezeichnete Pütz die ersten Sperren der Polizei vor dem Ebertplatz, auch der Einsatz von Hunden vor dem Polizeikordon auf der Riehler Straße in Höhe der Aral-Tankstelle habe die Gegendemonstranten eher provoziert als beruhigt.

 

Bedauernde Worte

Eher spät fielen dann einige bedauernde Worte über die durch Ran¦dalierer verletzten Polizeibeamten. Natürlich stehe er nicht hinter solchen Aktionen, sagte Pütz. Und eine Vertreterin vom Verein "Öffentlichkeit gegen Gewalt" machte deutlich, es sei zu einem gewaltfreien Marsch von der Bühne zum Ebertplatz aufgerufen worden. Bei so einer großen Zahl von Demonstranten könne man ohnehin nicht jeden unter Kontrolle bringen, ergänzte Ratsherr Detjen. Auf die Frage, wozu der Zug zum Ebertplatz angesichts des riesigen Polizeiaufgebots überhaupt gut war, sagte Pütz: "Dieser Platz sollte nicht einfach den Nazis überlassen werden."